Ein kleines und ganz subjektives chorPorträt
Mehr als 40 Jahre ist es her, dass sich eine Gruppe junger Sängerinnen und Sänger aus Münsters Studentischem Madrigalchor von dessen damaliger Leiterin Herma Kramm lossagte, um es musikalisch anders, ja, besser zu machen. Einen Chorleiter hatte man noch nicht, als sich der kleine Kreis um Musikstudent Markus Föhrweißer 1978 erstmals in der elterlichen Wohnung zweier Mitsänger traf und (dem Vernehmen nach) mit Orlando di Lassos Matona, mia cara die ersten Schritte in die chorische Selbständigkeit unternahm. (Warum nur wollte später keines der Gründungsmitglieder dieses Madrigal mehr singen?) Die Suche nach einem Chorleiter hatte sich übrigens alsbald erledigt: Bariton konnten auch andere – der musikalische Kopf des Westfälischen Kammerchors Münster aber war 37 Jahre lang kein anderer als Markus Föhrweißer.
Es anders und besser zu machen blieb immer ein Leitgedanke. »Der Westfälische Kammerchor ist der Chor, der am liebsten singt, was keiner sonst singt«, war über uns einmal in der Zeitung zu lesen (Stefan Walter, Münstersche Zeitung, 19.4.1994). Hier mitzusingen ist wie eine Reise durch die Chorliteratur, immer wieder gern auf abseitigen Wegen, auf denen Spannendes begegnet und Unbekanntes zu entdecken ist. Aber natürlich gibt es Lieblingskomponisten, die dem Chor musikalische Heimat sind. Stellen Sie uns doch einmal die berühmte Frage: »Lieben Sie Brahms?« Da wird es uns warm ums Herz – ob beim berüchtigten Tritonus in der Motette Warum ist das Licht gegeben den Mühseligen oder beim schlichten Erlaube mir, feins Mädchen, mit dem wir beim Landeschorwettbewerb 1993 in Köln den Sonderpreis für die beste Darbietung eines Volkslieds gewannen und das natürlich auf unserer CD »Deutsche Volkslieder« nicht fehlt.
Zu den Reisen durch die Chorliteratur gesellten sich Reisen mit der Chorliteratur: 1981, im jungen Alter von vier Jahren, ging der Chor erstmals auf Fahrt – nach Italien, dem Land, wo die Zitronen blühn. Und sodann packte man alle paar Jahre wieder die Koffer und Notenmappen: Es ging nach Belgien, Island, Spanien, gleich vier Mal nach England und zweimal über den großen Teich nach Kalifornien, nach Finnland und noch einmal nach Italien, auch nach Tschechien, Polen, Israel und zuletzt 2014 in die alte und neue Stadt Istanbul. Am Nachmittag das gemeinsame Konzert mit einem türkischen Chor in der Bahçeşehir Universität am Bosporus, am Abend Bootsparty auf dem Bosporus – der Westfälische Kammerchor kann nämlich auch feiern! Wir haben ja schließlich nicht nur Freude beim Singen…
In den letzten Jahren sind wir, wie es sich eigentlich für gute Westfalen schickt, etwas bodenständiger geworden. Dafür wurde es unmittelbar vor uns spannend: Seit 2016 steht uns nicht mehr Markus Föhrweißer gegenüber, der mit Eintritt in den beruflichen Ruhestand auch die Leitung des Chores niederlegte, um terminlich ungebunden zu sein (und vor allem viel zu reisen). Zwischen 2016 und 2018 hatte Dr. Inna Batyuk, die Chordirektorin der Städtischen Bühnen Münster, das musikalische Zepter inne. Russisches Temperament und professionelle Präzision forderten und förderten bei uns manch nicht geahnte oder kaum geübte Fähigkeiten. Wir haben viel gelernt und erkannt in dieser Zeit – nicht zuletzt die Tatsache, dass das Singen im Westfälischen Kammerchor Münster auch unter anderem Dirigat und mit vielen neuen Sängerinnen und Sängern weiterhin große Freude macht.
Nachdem Inna Batyuk aus beruflichen Gründen hatte aufhören müssen, übernahm Bernhard van Almsick die Leitung unseres Chores. Das Musizieren unter seiner Leitung war anspruchsvoll und erfüllend zugleich. Und dass kaltes Wasser erfrischend und überaus belebend sein kann, durften wir spüren, als wir nach nur zwei Probeneinheiten mit Brahms’ Liebesliederwalzern in selbiges geworfen wurden: Das erste gemeinsame Konzert in der Landesmusikakademie in Heek war aufregend schön! Und so wichtig, um ganz rasch zum neuen Westfälischen Kammerchor Münster zusammenzuwachsen! Doch die Zeiten sind schnelllebig geworden: Im Sommer 2019 hat Bernhard van Almsick eine neue berufliche Herausforderung im Schwabenländle angenommen, wodurch wir gezwungen waren, uns abermals nach einem neuen Chorleiter umzusehen.
Und es hat einmal mehr wunderbar geklappt! Das auf unser Konzert im Mai folgende Probenwochenende hat bereits Dr. Tamás Szőcs geleitet, den wir im März einstimmig zu unserem neuen künstlerischen Leiter gewählt hatten. Auf uns warten nun neue musikalische Herausforderungen, denn Tamás ist ein ausgewiesener Kenner alter Musik, der ungewohnte Akzente setzt und selbst einem Poulenc für uns bislang ungehörte schlanke Klangfarben zu entlocken weiß. Und so viel sei schon einmal verraten: Das Konzert zum Ende der Weihnachtszeit im Januar 2020 wird mit dem gregorianischen Choral »Puer natus« eröffnet werden – eine überaus wohltuende Abkehr vom Übermaß weihnachtlicher Süßigkeiten. Seien Sie mit uns gespannt auf den Westfälischen Kammerchor Münster 4.0!
Gudula Schütz